Backen macht glücklich – und mit schwäbischen Rezepten lassen sich
Genießer überall und zu jeder Zeit gerne verwöhnen.

Wie schmeckt Heimat? Für große und kleine Kinder der Schwäbischen Alb schmeckt sie nicht nur – sie duftet. Nach frischem Hefeteig, nach knuspriger Kruste, nach malzigmilder Krume. Nach Schwarzbrot, das eben aus dem Holzbackofen kommt. Nach einer noch warmen Laugenbrezel. Oder nach dem würzigsahnigen Belag, der sich auf dem Rahmkuchen breitmacht.
Wer es nicht ganz so opulent mag, bevorzugt die „Dinnete“, einen weiteren schwäbischen Klassiker. Der Name ist Programm, er kommt von dem dünnen Boden des salzigen Gebäcks, das mit Schmand bestrichen und mit Käse und Speck überbacken wird. Es gibt kaum ein Stadtfest zwischen Aalen und Tuttlingen, bei dem diese regionalen Schmankerln nicht zum kulinarischen Bestseller aufsteigen. Ob auf die Hand für den Flanierer oder zum Glas Wein für den Festleshocker – Frischem aus dem Backofen kann man schwer widerstehen.
Woher kommt sie überhaupt, die schwäbische Backtradition, die viele süße und salzige Gebäckstücke über die Region hinaus populär gemacht hat? Rezepte für viele Leckereien stammen noch aus der Zeit der Gemeindebackhäuser. Sie waren früher auf der gesamten Alb verbreitet – jedes Dorf hatte eines, größere Orte sogar zwei oder drei. Während der Brauch des Backhausbetriebs heute mit Backkursen für Jüngere wiederbelebt wird oder sogar noch besteht, ging es früher schlicht um das wichtigste Nahrungsmittel für die bäuerliche Bevölkerung: das Brot.

Klingt es hohl, ist der Laib durchgebacken

Damit sich jede Familie mit frischen Laiben versorgen konnte, diente das Backhaus der gesamten Einwohnerschaft. Die Reihenfolge, wer wann backen konnte, wurde eine Woche zuvor ausgelost, es gab eine Backordnung und eine Backfrau, die sich um alles kümmerte. Überhaupt waren Backtage für Frauen und Kinder auf dem Land eine arbeitsame Zeit. Sie begann nicht etwa mit dem Kneten des Brotteiges, sondern mit der Holz- und Reisigbeschaffung im Wald. Das beschreibt die in Laichingen (Alb-Donau-Kreis) aufgewachsene Autorin Gudrun Mangold in ihrem Buch „Hunger ist der beste Koch“. Im Buch spürt die Journalistin den früheren Ess- und Lebensgewohnheiten der Menschen auf der rauen Alb nach. Dazu gehörte eben die Brotzubereitung in den flach gewölbten Steinöfen der Backhäuser. Die Bäckerinnen haben sie mit Holz befeuert, die Asche entfernt und schließlich die Teigrohlinge „eingeschossen“,wie das Einschieben der Brotlaibe umgangssprachlich heißt.
Zuvor ist der Hefeteig meist zu Hause vorbereitet worden, mit feuchten Tüchern bedeckt und dann in der Backschüssel zum Backhaus getragen worden. Die ältere Generation erinnert sich auch an mit Laiben beladene Leiterwagen, die die Frauen am Backtag durch das Albdorf zogen.
Aber zurück zur Backkunst. So einfach gehalten die Herstellung des Brotes früher war (es gab überwiegend Schwarzbrot, das zum Vesper gerne in Milch eingebrockt wurde), so vielfältig ist die Brotwelt heute: Saatenbrot, Kartoffelbrot, Vollkornbrot, Nussbrot, Dinkelbrot, Kürbiskern- und Weißbrot – die Deutschen bleiben ein Volk der Brotesser. Und das Backen knuspriger Laibe, ob im heimischen Ofen oder im schwäbischen Backhaus, ist wieder stark en vogue.
Wen wundert’s, allein mit Butter bestrichen verspricht frisches Brot höchsten Genuss. Schmilzt der Belag auf der Schnitte und versinkt die Marmelade, das Gsälz, in der weichen Krume, soll sich schon mancher gründlich überessen haben.
So diskutieren heute ganze Communitys darüber, wie lange der Vorteig ruhen sollte (am besten abgedeckt und über Nacht), philosophieren über die Druckprobe (sie zeigt, ob der Hefeteig ausreichend gegangen ist) und die Klopfprobe am Ende der Backzeit. Man nehme dafür am besten einen Holzlöffel und klopfe auf den Brotboden. Klingt es hohl, ist der Laib durchgebacken.
Solche Geheimnisse kannten und kennen die schwäbischen Haus- und Landfrauen aber längst. Und noch viele mehr. Denn aus der Tradition des Brotbackens heraus haben sie viele weitere Köstlichkeiten gezaubert. Manche finden sich bis heute kaum in Backbüchern – etwa der beliebte Zuckerkuchen. War der helle Hefeteig schon einmal fertig, rollten ihn die Bäckerinnen aus und bestrichen ihn dünn mit einer Mischung aus Ei, Butter und Zucker. Zu viel Belag durfte es allerdings nicht sein, denn vor allem Butter und Zucker waren wertvoll für die arme Albbevölkerung. Zu essen hatten viele nur, was sie ihren kargen Böden und der kleinen Landwirtschaft abringen konnten.

Doch schon immer hat man sich im Württembergischen darauf verstanden, aus dem Wenigen etwas Gutes zu machen. Wenn die Kinder am Backtag aus der Schule kamen, schauten sie gerne im Backhaus vorbei, um sich etwas süßes Gebäck abzuholen. Das herzhafte Pendant zum Zuckerkuchen nennt sich im Schwäbischen „Kimmichkuchen“ oder auch Kümmelkuchen. Hier verfeinern den Hefeteig schlicht Butter, Salz und jede Menge Kümmel. Mehr braucht es nicht zu einem Glas guten Lemberger – das wissen auch die Macher der Dorffeste in der Region: Landauf, landab bieten Vereine die Spezialität frisch aus dem Backofen an. Meist in der kleineren Fladen-Variante, die dann als „Bätscher“ firmiert. Belegt man diese Fladen mit Rahm, Speck, Zwiebeln und Lauch, so sind wir wieder bei der „Dinnete“. Der Fladen und seine kulinarischen Geschwister, der Rahm- und der Zwiebelkuchen, sind für die Schwaben das, was der Flammkuchen für die Elsässer bedeutet.
Rahm- und Zwiebelkuchen schmecken am besten, wenn sie direkt nach dem Backen wie eine Quiche warm gegessen werden. Ein Glas neuer Wein oder Most dazu – fertig ist die traditionelle Mahlzeit. Wer braucht da schon Champagner und Crémant? Kein Wunder, dass die salzigen Kuchen auch in den für Württemberg typischen Besenwirtschaften gerne gereicht werden.
Nicht zu vergessen das schwäbische Nationalgebäck, die Brezel. Der Legende nach ist sie in Urach erfunden worden: Dort wurde 1447 der Bäcker Frieder wegen Veruntreuung zum Tode verurteilt. Graf Eberhard von Urach versprach, ihn zu begnadigen, wenn er innerhalb von drei Tagen ein Brot backen könne, durch das dreimal die Sonne durchscheint. Inspiriert von den verschlungenen Armen seiner Frau erfand Frieder angeblich die Form der Brezel.
Aber nicht nur mit herzhaften Klassikern können hiesige Bäckerinnen und Bäcker punkten – Leckermäulchen mit süßem Zahn kommen ebenfalls auf ihre Kosten. Über die Landesgrenzen hinaus bekannt sind die schwäbischen Flachswickel mit
Hagelzucker – und der Hefezopf. In vielen Familien soll endlos darüber gestritten worden sein, ob das verschlungene Gebäck mit oder ohne Rosinen zubereitet wird. Fans des beliebten Rosinenstuten lassen die Früchte übrigens mit Wasser bedeckt eine Stunde quellen, ehe sie sie in den Teig kneten. Puristen wenden sich hier entsetzt ab. Für sie gehört allenfalls ein Hauch Zucker auf den Hefezopf.
Doch egal welche Variante der Genießer bevorzugt, am besten schmeckt der Hefekranz dick mit Butter bestrichen. Es soll Kinder geben, die nicht nur mit „Spätzle und Soß’“ groß geworden sind, sondern auch ausschließlich mit Hefekranz zum Frühstück.
Auf der Alb bleibt man sich eben treu, auch in Sachen Lieblingsessen. Und apropos Gepflogenheiten – das schwäbische Savoirvivre folgte dereinst dem Motto: Verwerte, was du verwerten kannst, und nütze, was du hast. Blieb etwas übrig von Brot, Weckle und Hefezopf, war Großmutter nicht verlegen und servierte der Familie einen „Ofenschlupfer“. Für die überbackene Süßspeise gehen Äpfel, Rosinen, Milch und altbackene Semmeln eine fein schmeckende Liaison ein.

Die Heimatküche liegt voll im Trend

Damit trifft die Heimatküche erneut einen Nerv der Zeit, denn immer mehr Menschen stellen sich gegen die Verschwendung von Lebensmitteln – Stichwort Fairteiler und Zero Waste. Und im Improvisieren ist die schwäbische Küche einfach meisterhaft. Schmackhaftes entsteht selbst dann noch, wenn der Vorratsschrank fast leer ist. Wer kennt schon noch die berüchtigten „Nonnenfürzle“? Hinter diesem Gebäck steht ein klassisches Armeleuteessen, das kulinarisch aber alles andere als eine Verlegenheitslösung ist. Lediglich Hefe, Milch, Mehl, Zucker, Butter und Schmalz braucht’s für das Fett- gebackene, das vor allem bei Kindern hoch im Kurs steht. Nachzulesen sind traditionelle Rezepte wie dieses übrigens im Koch- und Backbuch „War das lecker! Unsere Lieblingsgerichte aus Schwaben“.
Wer über hiesige Leckereien spricht, kommt auch an den Weihnachtsplätzchen nicht vorbei. Die heißen im Ländle Gutsle oder Bredla. Und mindestens eine Sorte gibt es, die außerhalb Baden-Württembergs kaum bekannt ist: die Springerle.
Sie wissen nicht, was das ist? Hinter dem hübschen, hellen Gebäck verbergen sich Anisplätzchen, die zugegebenermaßen nicht jedermanns Sache sind.
Wer aber in schwäbischen Dörfern groß geworden ist, der weiß: Beim Springerle kommt es nicht nur auf den Geschmack an, sondern vor allem auf die Form. Die muss stimmen, weshalb das Bredle als Königsdisziplin aller schwäbischen Bäckerinnen und Bäcker gilt. Noch heute hören viele Oma und Mutter schimpfen, wenn die „Füßle“, die sich unter dem Puderzucker-Eiweiß-Belag bilden sollen, nicht richtig gelingen.
Noch schlimmer: Wenn der Belag verläuft und das Motiv des „Models“ (das schwäbische Wort für Plätzchenform, gesprochen: Mooodel mit endlos langem O) nicht richtig zu erkennen ist. Model also sind die geschnitzten Holzformen, in die man den Teig drückt, um die Motive auf das Gebäck zu bekommen. Und mit diesen Springerle-Formen ist es eben so eine Sache. Die werden rund um den Maultaschen-Äquator nicht nur verehrt, gesammelt und von Generation zu Generation weitervererbt.
Nein, als Zeichen eines Nationalheiligtums zieren sie auch viele Christbäume in der Region.
Aber zurück zu den Springerle an sich. Die Gutsle sind wie gesagt Chefsache, und wer sich nicht auf das Ganze versteht, riskiert es, steinharte Brocken zu produzieren. Auch der Verfasserin dieser Zeilen ist das gelegentlich passiert, worauf die strenge, der Tradition verbundene Großmutter ihr jegliche Kompetenz zum Backen abgesprochen hat. Springerle heißen ja der Legende nach so, weil sie beim Backen deutlich aufgehen. Also „aufspringen“ und ein „Füßle” bekommen.
Und apropos Oma – die hatte in Sachen Weihnachtsplätzchen noch einen besonderen Tipp parat: Wer das Mehl, besonders für die Springerle, vor dem Backen in einem Baumwollsäckchen auf den Ofen oder den Heizkörper legt, sodass es sich leicht erwärmt, der kann mit einem besonders guten Ergebnis rechnen.

Ohne Äpfel geht nichts in Schwaben

Von den weihnachtlichen Kalorienbomben zu einem echten Klassiker – obendrein in einer Region, die mit dem Label des „Schwäbischen Streuobstparadieses“ werben darf. Die Rede ist vom Apfelkuchen. Omas und Mutters gedeckte Variante, die als die eigentlich heimische gilt, funktioniert ohne viel Chichi: Die Äpfel versinken in einem saftigen Rührteig aus fünf Eiern, Mehl, Butter und Zucker – fertig ist das ganze Werk.
Wer’s eher mit Blechkuchen hat, verteilt die zimtigen Apfelschnitten auf einem Mürbeteig und streut reichlich Butterstreusel darüber. Fakt ist, ohne Äpfel geht nichts in Schwaben. Äpfel gibt es, so weit das Auge reicht auf den Streuobstwiesen der Schwäbischen Alb. Ganze Generationen haben sich bei der Ernte den Rücken krumm geschafft, undenkbar, die Frucht nicht auf den Speiseplan zu setzen. Typisch schwäbisch, das sind auch Apfelmus und Apfelkompott, gerne gegessen zu Waffeln oder den ebenfalls in Schmalz gebackenen Fasnachtsküchle.
Und wenn wir gerade schon mal bei den Früchten sind: Zu den absoluten Bestsellern in den hiesigen Gärten gehören auch Zwetschgen und Johannisbeeren, beides sind äußerst dankbare Gesellschafter auf dem Kuchenteig. Und mit den Johannisbeeren hat es noch etwas anderes auf sich. Auf der Schwäbischen Alb heißen die roten Beeren Träuble, und der Träubleskuchen gehört kulinarisch zum Landstrich wie die Linsen mit Spätzle. Trotz Baiserhaube kann das Backwerk vielen Schleckermäulern nicht sauer genug sein. Was übrigens dann auch das Vorurteil widerlegt, auf der Alb gehe man zum Lachen in den Keller. Sauer macht schließlich lustig, sagt das berühmte Sprichwort. Das aber meinte ursprünglich etwas ganz anderes: Sauer macht gelüstig, nämlich hungrig. In diesem Sinne: Guten Appetit!

Christina Hölz

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