Ein Urwald ist er ja nicht, der Forst bei Meßkirch. Aber doch so dicht, dass man inmitten der Bäume mal ein kleines Gedankenspiel starten könnte: Was wäre, wenn jenseits des Waldes nicht unsere Häuser, Autos, Straßen, Geschäfte warten würden? Was wäre, wenn wir etwa im Jahr 800 wären? Was würden wir sehen?

Schwere Arbeit – das zeigt sich uns schon nach ein paar Schritten. Wir treten auf eine Lichtung hinaus. Dort sägen Männer in weißen Tuniken Stämme zurecht, kerben Einschnitte und fügen die Hölzer zusammen. Keine Maschine lärmt, die Werkzeuge sind aus Holz, Eisen, Schnüren – und die Männer müssen erkennbar schuften. Über 20 Meter hinweg sind die Balken am Boden schon zusammengepuzzelt, und man erkennt: Das wird eine große Fachwerkwand. Für ein Gebäude, das im Jahr 800 nur für die bedeutendsten Menschen ihrer Zeit errichtet wurde. Hier soll einmal der Abt eines großen Klosters wohnen.

Wir sind hier im Wald bei Meßkirch auf einer Zeitreise. Sie versetzt uns in das Land vor gut 1200 Jahren, das noch nicht Deutschland hieß und ein Waldland war mit kleinen Bauern-Siedlungen, in denen die Menschen mühsam ihr Leben fristeten. Ohne jede Infrastruktur, wie wir sie kennen – für die Bildung etwa oder eine Krankenversorgung. Von so Dingen wie Sozialhilfe ganz zu schweigen. Wer halt nicht über die Runden kam, ging zugrunde. Vor 1200 Jahren hatte vermutlich mehr als die Hälfte der Bevölkerung nicht einmal das Lebens- notwendige.

Was auch die Herrschenden wussten – etwa Kaiser Karl, der damals über das Reich der Franken regierte, zu dem auch der Wald, in dem wir sind, gehörte. Aber Karl wusste auch: Es gibt da Spezialisten, die das Wissen der Griechen und Römer bewahren, die viel verstanden hatten von Architektur, Wasserversorgung, Agrarwirtschaft, Bildung, Medizin – eben von all den Dingen, die das Leben jenseits des Kampfes um das pure Überleben etwas leichter machten. All dieses Wissen hatten die Germanen zerstört, als sie auf ihrer Völkerwanderung das römische Reich komplett auseinandernahmen. Aber es gab eine Institution, die halbwegs intakt durch diese stürmischen Zeiten gekommen war: die Kirche. Und zu dieser Kirche gehörten Klöster, deren Mönche Selbstversorger waren. Die sich selber bildeten, um die Bibel und Heiligengeschichten lesen zu können. Die eine effektive Landwirtschaft hatten, um ihr Essen auf dem Tisch zu haben. Und die auch die Bücher der Antike sammelten oder abschrieben, um etwa die Bautech nik zu kennen oder sich das Wissen über Krankenpflege anzueignen.
Wo Klöster entstanden, gab es sichere Arbeitsplätze in der Landwirtschaft, fanden Arme Almosen, Kinder (zumindest die der reichen Familien) eine Ausbildung, Kranke eine Art Apotheke, Fremde eine Herberge. Denn ihr Glaube gebot den Mönchen, nicht nur auf sich zu achten, sondern auch für die Menschen im Umkreis da zu sein. Klöster im Land zu haben war für einen Herrscher deshalb ein Aktivposten, und so förderten Karl und seine Nachfolger eifrig den Klosterbau. Es war eine lohnende Investition in die Infrastruktur, eine, die Deutschlands Entwicklung entscheidend mit auf den Weg gebracht hat.

Wie hat aber so ein Kloster ausgesehen? Und wie ist es überhaupt gebaut worden? Das sieht man im Wald bei Meßkirch, wo ein spannendes Living-History-Experiment abläuft: der Campus Galli. Seit 2013 entsteht hier eine karolingische Klosterstadt – vor den Augen der Besucherinnen und Besucher. Da sticheln die Steinmetze Ornamente in Kalksteinquader, und nebenan fachen die Schmiede mit einem Blasebalg die Glut an, klingen Hammer und Amboss, um Meißel für die Steinmetze zu formen. Maurer mischen Kalkmörtel, und die Holzeimer dafür fertigt ein Küfer mit Eichenholzdauben und Haselnussringen. In der Küferwerkstatt brennt ein kleines Feuer – die Baustelle ist ja Wind und Wetter ausgeliefert. Da braucht es warme Kleidung, und die Rohstoffe dafür liefern ein Flachsfeld und ein Schafpferch. Viele Arbeitsschritte
sind dann noch nötig, um in der Weberei Zwirn zu drehen, Stoffe zu weben und Kleidung zu schneidern. Und die erfüllt ihren Zweck: „Wenn man schafft, kühlt die Kleidung, wenn man sitzt, wärmt sie“, lobt Kilian Klug. „Die ist viel atmungsaktiver als unsere Kunststoffe.“ Der junge Mann macht gerade ein Freiwilliges Soziales Jahr auf der Baustelle. Die hat viele freiwillige Mitarbeiter wie Jürgen Eberle, ein Zimmermann, der es faszinierend findet, mittelalterliche Bautechniken auszuüben: „Auf modernen Baustellen passiert alles viel schneller – bumm, ist man fertig. Hier erlebt man das Entstehen mit.“ Dann ritzt er wieder Markierungsfurchen in das Holz mit einem kurzen Messer: „Das war der Bleistift des Mittelalters.“

Was alles dazugehört, um ein Kloster zu bauen, das verrät uns der St. Galler Klosterplan. Im Jahr 825 haben ihn die Mönche auf der Bodensee-Insel Reichenau auf zusammengenähten Pergament-Blättern gezeichnet – für das Kloster St. Gallen. Der älteste Plan des Mittelalters überliefert uns die Grundrisse von rund 50 Gebäuden, die sich um eine Kirche scharten: Küche, Brauhaus, Schule, Apotheke, Ställe für das Vieh, Häuser für das Gesinde, Werkstätten, ein Pilgerheim, eine Mühle, eine Schreibstube und, und, und – alles, was notwendig war zum Leben einer Gemeinschaft, ist dort eingeplant. Manchmal ist sogar eine Inneneinrichtung markiert, Betten oder Tische etwa. Der Plan ist so nie Wirk- lichkeit geworden – er ist ein Ideal, das höchsten Ansprüchen genügt, die in den Klöstern mal mehr, mal weniger umge- setzt wurden. Aber dennoch waren solche Klöster zivilisatorische Wunderwerke in einer Zeit, in der die meisten Menschen in einem zugigen, verrauchten, dunklen Raumlebten, oft zusammenmit dem Vieh. Wie anders dagegen lebte man im Kloster: eigene Räume zum Essen, Schlafen, Arbeiten, beheizbare Stuben, Toiletten (Hygiene statt Krankheit), Einrichtungen für Kranke, und immer genug zu essen auf dem Teller. Hatte doch eine Synode im Jahr 794 bestimmt: „Kein Geizhals soll in einem Kloster zum Kellermeister bestellt werden.“
Was für ein Gewinn an Lebensqualität! Und was für eine Bündelung an Kompetenzen. Das wussten auch die Kaiser zu schätzen, die im Mittelalter noch im Sattel regierten und die Klöster als Stützpunkte aufsuchten während ihrer Reisen und als Zentralen ihrer Verwaltung.
Diese Welt will das Projekt Campus Galli sichtbar machen. Die ersten Bauten stehen schon: eine große Scheune, eine Kirche, die Werkstätten der Handwerker. Dass das dauert, liegt nicht nur am Verzicht auf Maschinenkraft, sondern auch daran, dass das Bau-Team sich mühsam in mittelalterliche Bautechniken hineinexperimentieren muss: Der Klosterplan ist eben kein Bauhandbuch mit genauen Rezepten. Vielen Arbeitstechniken des frühen Mittelalters nähert sich das Campus-Galli-Team mit Ausprobieren. Zwei Jahre, sagt der Küfer Ernst Schwarz, habe er gebraucht, sein Handwerk mit allen Kniffen zu lernen. Das erfährt man, weil alle Beteiligten einen bewusst ineffizienten Arbeitsstil pflegen. Immer wieder lassen die Handwerker ihre Arbeit ruhen, wenn die Besucher sie befragen. Das ist ausdrücklich erwünscht.
Nicht Schautafeln, sondern Menschen erzählen die Geschichte und Geschichten des Campus Galli, erzählen von den Mühen des mittelalterlichen Lebens, aber auch von der Freude, wieder etwas komplett mit eigenen Händen und dem Material der Natur aufgebaut zu haben. Auch wenn zum Beispiel Jürgen Eberle weiß, dass er die fertige Klosterstadt nicht sehen wird – Campus Galli ist ein Jahrhundertprojekt.

BEBENHAUSEN: Ein Klosterensemble mit Mittelalter-Flair

Aber wir können trotzdem die nächste Stu fe, das fertige Kloster, hier und jetzt erleben, indem wir weiterreisen. Zum Beispiel nach Tübingen-Bebenhausen. Zwar können wir auch dort eine karolingische Klosterstadt im Original nicht mehr sehen (die Jahrhunderte sind über all die Klöster, die damals gebaut wurden, gegangen, mit Zerstörungen oder Um- und Ausbauten), aber die Grundidee des St. Galler Klosterplans blieb erhalten. Denn wer nach Bebenhausen fährt, einen Tübinger Vorort, trifft dort auf ein Klosterensemble, das manches vom Mittelalter-Flair behalten hat.
Bevor man das Kloster Bebenhausen betritt, kann man sich einen schönen Überblick verschaffen, wenn man den Wiesenhang hochgeht. Dort oben ist es Zeit, sich wieder umzudrehen – für einen Blick auf Bebenhausen in der Tiefe. Und vor allem zurück in die Zeit. In jene Mittelalter-Jahre, in denen Mitteleuropa noch von Wäldern eingehüllt war. Und da haben wir hier die Illusion, dass sich das nicht geändert hat. Der Laubteppich der Schönbuchhänge riegelt den Horizont komplett ab – bis auf die Lichtung im Talgrund. Man kann es oben von der Wiese noch ein bisschen nach- empfinden, was es für Gefühle auslöste, nach dem Gang durch die wölfereichen Wälder plötzlich einen burgartig ummauerten, Schutz bietenden Bezirk vor Augen zu haben. Dieses Gefühl ist in Bebenhausen deshalb leichter nachzuempfinden, weil der Ort sehr klein geblieben ist und das Kloster noch den Anblick dominiert – was selten geworden ist in unserem dicht besiedelten Land. Besonders die Zisterzienser beherrschten die Kunst, entlegene Orte in zivile Leuchtturmprojekte, wie es ein Kloster nun ein- mal war, zu verwandeln. Diese Zisterzienser waren ein Orden, der gezielt die Siedlungen mied. In der Einsamkeit fühl ten sie sich bei ihrem Dienst an Gott – das ist ja der Hauptzweck eines Klosters – ungestörter. Aber um in dieser Einsamkeit zu überleben, mussten sie wieder Wälder roden, Äcker anlegen, ein funktionierendes Kloster samt Wegen bauen. Und so wurde aus Wildnis Zivilisation. Genau deshalb hatte der Tübinger Pfalzgraf Rudolf vermutlich im Jahr 1189 die Zisterzienser ins Tal des Goldersbachs gerufen.
Wasser war für die Zisterzienser unbedingt notwendig. Weil Benedikt, einer der Begründer des Mönchtums, verboten hatte, vierbeinige Tiere zu essen, war Wasser für die Fischzucht unabdingbar für die Zisterzienser. Ein Teich vor der Klostermauer erinnert noch heute an die ganze Kette von Fisch-Reservoirs, die die Nahrung sicherten. Der Bebenhäuser Klosterbezirk hat sich so gut erhalten wie sonst kaum einer im Land. Ein bezauberndes Ensemble, das man erst mal frei durchstreifen kann auf dem inneren Ring, und wo man schon bald sieht, an romanischen Rundbögen, gotischen Fenstern und Fachwerk: Hier haben die Jahrhunderte gebaut – und mit ihrem Werk sind die Zeiten der Kriege glimpflich umgegangen. Die Zisterzienser hatten eigentlich die Schlichtheit zum Programm erhoben und deshalb zum Beispiel die Kirchtürme durch Dachreiter, das sind so eine Art Mini-Türmchen für eine Glocke, ersetzt. Aber wer zum riesigen, elegant verzierten Turm auf der Kirche schaut, sieht, wie die Lust am baulichen Luxus das strenge Zisterzienser-Konzept doch gerne aushebelte. Im Kirchenchor illustriert das ein Fresko, auf dem Abt Peter von Gomaringen dieses Trumm von Turm der Gottesmutter darbringt – mit allem Bauherren-Stolz.
Aber man hatte es ja auch. Die Zisterzienser wirtschafteten erfolgreich und verfügten über weit verstreuten Besitz. Sogar die Ulmer mussten sich das Grundstück für ihr Münster erst mal von den Bebenhäusern kaufen – das war für die Mönche ein guter Deal. Wenig überraschend, dass auch das Klosterinnere wunderschöne Architektur bereithält. Man kann es nach der Kasse frei besichtigen, gut gemachte Infotafeln vermitteln das Klosterleben. Noch interessanter ist es, sich einer der Sonderführungen anzuschließen. Man taucht ein in „Das Ideal vom einfachen Klosterleben“, so einer ihrer Titel, oder folgt Martin Blum und Andreas Hauck, die als die Mönche Aurelius und Bernardus mit den Besuchern durch die Gänge wandeln, und erfährt: Wann standen die Mönche auf? Wie oft wurde in der Kirche gebetet? Und testet, wie man es so mit dem Schweigegebot aushält, das im Kreuzgang galt.
Dieser Kreuzgang ist einer jener schon fast aus der Zeit gefallenen Orte, die Bebenhausen so stimmungsvoll machen. Aber auch die anderen Räume wie etwa der Kapitelsaal. Hier versammelten sich die Mönche jeden Tag, hörten ein Kapitel aus der Benediktus-Regel und bekamen vom Abt die Anweisungen für den Tag. Es ist einer der ältesten Räume des Klosters, die Säulenpfeiler mit ihren Kapitellen und den Rundbögen darüber weisen noch in die romanischen Anfänge Bebenhausens. Der Sprechsaal, der einzige Raum, in dem das Schweigegebot nicht galt, und die Bruderhalle, in der die Mönche ihren Arbeitsraum hatten, schließen sich an. Und dahinter war ein Wärmeraum – der einzige Ort zum Aufwärmen im sonst ungeheizten Kloster. Besonders prächtig ist das Sommerrefektorium, der Speisesaal der Mönche, ein hoher, lichtdurchfluteter, fast schwereloser Raum, dessen bemaltes Gewölbe drei schlanke Säulen tragen. Konrad von Lustnau hat es so modernisieren lassen, ein besonders baueifriger Abt, der dann neben der Kirche auch eine Grabkapelle erhielt. Sie ist verschwunden – denn es gab einen Wendepunkt in der Klostergeschichte: die Reformation. Der protestantische Herzog Ulrich von Württemberg nahm so Bebenhausen im Jahr 1534 in seinen Besitz. Die Klosterkirche wurde teilweise abgebrochen, Konrad von Lustnaus Grabkapelle komplett, und die Zisterzienser mussten weichen. Nach einigem konfessionellen Hin und Her blieb es schließlich im Besitz der Württemberger.
Die Zeiten hatten sich auch sonst sehr geändert. Klöster hatten ihr Monopol verloren. Ihre Aufbauarbeit hat auch andere Wirtschaftszentren ermöglicht wie die Städte: „In deren Anlage ist gewiss auch manches eingegangen, was zuvor in Klöstern erprobt worden ist“, ist sich der Historiker Norbert Ohler sicher. So war auch die Bildung nicht mehr exklusiv: In Tübingen zum Beispiel hatte der Landesherr Graf Eberhard eine Universität gegründet. Klöster wurden jetzt zur Beute der Herrschenden – das nennen die Historiker Säkularisierung.
In Bebenhausen behielten die Württemberger zunächst immerhin den Zweck des Klosters als Ausbildungsstätte bei. Das Areal wurde nun ein evangelisches Kloster und bekam eine Klosterschule. Aber im 19. Jahrhundert hob König Friedrich das evangelische Kloster auf. Die Württemberger bauten Teile des Klosters zum Jagdschloss um, nach dem Ende der Monarchie war es ab 1918 das vom neuen Staat zugewiesene Rentner-Domizil für das ehemalige Königspaar. So sieht man in einem Teil des Klosters ungewöhnliche Zimmer: Da wuchern holzvertäfelte Räume im Stil des Historismus schier zu vor lauter Geweihen und anderen Jagdtrophäen.

In ZWIEFALTEN trumpft der Barock auf

So wechselvoll kann die Geschichte eines Klosters also werden, wenn es seine ursprüngliche Funktion verliert. Darauf hatten die Mönche des Klosters Zwiefalten – unsere dritte Station auf der Zeitreise durch die Geschichte der Klöster – gar keine Lust.
Zwiefalten hockt unter den Südhängen der Alb, die Zwiefalter Aach plätschert dem Dorf entgegen, und zwei mächtige Türme mit ihren Zwiebelhauben signalisieren weit ins Land: Hier trumpft der Barock auf. Und damit der Urahn von Hollywood, der Vorgänger aller Netflix-Serien. Denn Ba rock, das ist nicht nur eine Kunstrichtung, das ist eine gewaltige Storytelling-Ma- schine, und gerade in Zwiefalten bekommt man sie in Perfektion geboten.
Aber es ist wie in unserer visuellen Welt: Bilderflut kann auch überfordern. Ein bisschen Zeit zum Schauen sollte man sich schon nehmen und eine Anleitung haben, sei es durch eine Führung oder eine der Kirchenbroschüren, die zum Kauf bereitliegen. Dann entziffert sich so manches. Wie gleich in der Vorhalle des Zwiefaltener Münsters. Dort sieht man auf einem Decken-Fresko, wie es einst Heliodor, dem Schatzkanzler des syrischen Königs, erging. Der habe, so erzählt das Alte Testament, den Jerusalemer Tempelschatz konfiszieren wollen. Da preschte ein Reiter in goldener Rüstung durch den Tempel, die Vorderhufe seines Pferdes trampelten ein auf Heliodor. Das Bild zeigt die nächsten Momente: Hoch bäumt sich das Pferd auf, Heliodor liegt rücklings auf den Stufen des Tempels, zwei Helfer des Reiters lassen ihre Peitschen auf Heliodor niedersausen.
Franz Sigrist hat diese dramatische Szene im Jahr 1758 gemalt als drastische Botschaft: Wer sich am Kirchengut vergreift, verbrennt sich die Finger. Eine Gefahr, die von Anfang an über Zwiefalten schwebte. Lange zuvor, im Jahr 1089, hatten Kuno und Luitold, Grafen auf der Reutlinger Achalm, das Kloster gestiftet. Zwölf Mönche und fünf Laienbrüder, die zwölf Apostel und die fünf Wunden Christi versinnbildlichend, haben sich nach Zwiefalten aufgemacht. Schon im Jahr 1109 stand die Kirche, ein dreischiffiger Bau mit offener Vorhalle, und man kann sie sich heute noch ansehen. Im Museum des Zwiefalter Geschichtsvereins, das im Peterstor am Klostereingang untergebracht ist, illustriert ein Bild diese frühe Phase. Es zeigt mit seiner Darstellung ein großes Klosterareal samt vieler Nebengebäude. Als einziges Kloster bleibt Zwiefalten im reformatorischen Württemberg erhalten. Schließlich investierten die Mönche sogar im Jahr 1750 und erkauften sich von Württemberg das Recht auch der weltlichen Herrschaft. Kredite machten das oft möglich – aus Zwiefalten war ein Klosterstaat geworden.
Wir sind jetzt, rund 1000 Jahre nach Karl dem Großen, in einer ganz anderen Zeit der Klöster. Gar nichts mehr haben sie von der St. Galler Bodenständigkeit. In all den Jahrhunderten haben sie ihren Besitz gemehrt, sind manchmal sehr reich geworden. Statt in Holzhütten im Wald residierten sie jetzt in Bauten, die den Schlössern, den Residenzen der weltlichen Herrscher, glichen. Offiziell diente all die Pracht dem höheren Ruhme Gottes. Aber: Wir sind wer – auch diese Botschaft strahlten die Mönche mit ihrem Zwiefalter Bauprogramm aus.
Der Thronsaal der Mönche war ihre Kirche. Ihr Münster schufen sie nach dem Abbruch der alten Kirche im Jahr 1738 zu einem Rokoko-Gesamtkunstwerk. Da haben die Zwiefalter Äbte keine Kosten gescheut und mit den Abgaben der Bewohner der Klosterherrschaft das Beste auf dem Markt eingekauft: Johann Michael Fischer, einer der angesehensten Barock-Baumeister, hat diesen lichtdurchfluteten Raum geschaffen. Wer an seinem Eingang steht, sieht kein einziges Fenster. Ovale Seiten- kapellen und vorschwingende Brüstungen kaschieren sie und bringen Dynamik in diese Halle. In der der Maler Franz Joseph Spiegler, auch einer der Könner, Farbe und Dramatik auf die Flächen brachte und die Dimensionen des Raumes in die himmlischen Sphären steigerte, in der die Engel schweben (999 hat man gezählt), die Pilger wallfahren, die Heiligen verzückt zum Himmel schauen und Maria über allem thront. Ihr ist ja die Kirche gewidmet. Über fünfzigmal ist sie im Münster abgebildet.
Natürlich hatte diese visuelle Pracht ihren Zweck. Das Leben für das normale Volk war zwar nicht mehr so entbehrungsreich wie zu der Zeit, als die Klöster erste Schneisen in die Wälder schlugen, aber hart genug war es allemal. Und dieses Volk betrat in den Barockkirchen so einen Illusions-Saal, wie es die Kinos später waren. Für die Stunden der Andacht waren sie unter einem prächtigen Himmel voller Heiliger, Wunder und Verheißungen, auf dass das irdische Leben leichter falle. Und für diese Ablenkung vom Alltag boten die Barock- Künstler alle optischen Tricks auf und setzten Spektakuläres in Szene. Da ist auch das Zwiefalter Münster ein schier unerschöpfliches Panoptikum. So steht am Stefanus-Altar die Statue eines Mannes, dem das Gedärm aus dem halbnackten Leib quillt. Es ist der Abt Ernst von Steußlingen, der auf einer Jerusalem-Wallfahrt von türkischen Truppen getötet wurde. Die Klosterlegende will wissen, dass er nach Mekka verschleppt wurde, dort standhaft das Opfer für heidnische Götter verweigerte und zu Tode gefoltert wurde. War schon damals klar, dass das Unsinn ist – aber warum sich eine so gruslige Geschichte kaputt recherchieren?
Wer weiter die Blockbuster-Qualitäten des Barocks ohne das nackenanstrengende Schauen zur Decke genießen will, betrachte die Säule gegenüber der Kanzel. Dort deutet im flatternden Gewand ein wildgelockter Ezechiel, der Visionär der Auferstehung der Toten, hinüber zur Kanzel. Und dort erwecken Frauengestalten, die göttlichen Tugenden, die Toten. Einer ist noch ein komplettes Gerippe, beim nächsten überzieht schon Fleisch die Knochen – eine leibliche Auferstehung.
Nicht nur diese Kunstschätze zeigen: Zwiefalten hatte einen repräsentativen Bau für die Kloster-Ewigkeit, und doch war Zwiefalten zwei Generationen später schon württembergische Kolonie. Denn im Jahr 1802 eignete sich das Königreich Württemberg die Benediktiner-Abtei an und beendete erfolgreich jahrhundertelange Versuche, dieses religiöse Territorium unter seine Herrschaft zu bringen. Die Folgen davon sind eindrucksvoll erfahrbar beim Gang über das Klostergelände, denn dort ist heute ein psychiatrisches Landeskrankenhaus untergebracht. Immerhin eine wichtige Fachklinik und ein bedeutender Arbeitgeber in einem strukturschwachen Gebiet.
Wenn man so will, bleibt noch ein Erbe des Klosters. Die Mönche sahen als ihre Aufgabe, für das Seelenheil zu sorgen, hatten allerdings seit 1521 auch das leibliche Wohl im Blick. Seitdem wird hier Bier gebraut. Das ist auch nach der Säkularisation geblieben, durch Privatleute – in der Brauerei Zwiefalter Klosterbräu.

Das Zisterzienser-Kloster in Bebenhausen bei Tübingen

WEITERE INFORMATIONEN:

Campus Galli:

Öffnungszeiten: Dienstag bis Sonntag, 10 – 18 Uhr (1. April bis Ende Oktober), 10 – 17 Uhr (Herbstferien)

Bebenhausen:

Geöffnet täglich von 9 bis 17 Uhr. Das Kloster kann man alleine besichtigen, ins Schloss kommt man nur mit einer Führung. Zeiten und Angebote unter:
www.kloster-bebenhausen.de

Zwiefalten:

Das Münster ist täglich geöffnet, die Zeiten variiere.
Der Chorraum kann nur mit einer Gruppenführung betreten werden.

Peterstor-Museum: Freitag und Samstag von 13 bis 17 Uhr,
an Sonn- und Feiertagen von 11 bis 17 Uhr geöffnet. www.geschichtsverein-zwiefalten.de

Informationen über weitere Klöster auf der Schwäbischen Alb: www.schwaebischealb.de/kultur

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