Der harmonische Dreiklang von Mensch, Tier und Natur hat auf der Schwäbischen Alb eine lange Tradition. Seit jeher ist jeder Teil dieses Trios von den beiden anderen Elementen abhängig. Ohne Tiere und Pflanzen kann der Mensch nicht überleben, der Mensch wiederum hat die Aufgabe, sich nachhaltig um seine Umgebung zu kümmern. Zwei Beispiele, in denen dies in besonderem Maße umgesetzt wird, haben wir besucht: Valerie Stegmayer, eine junge Schäferin, die mit ihrer Herde natürliche Landschaftspflege betreibt, sowie die beiden Imker Norbert Poeplau und Benedikt Pestalozzi, die sich für einen respektvollen Umgang mit Bienen engagieren und mit ihrer Arbeit zum Erhalt der Artenvielfalt beitragen.

Ein Traditionsberuf, der sich der Landschaftspflege widmet

„Quem, quem“: Tief und kehlig hallt der Ruf von Valerie Stegmayer über eine Wiese oberhalb von Giengen. Gemächlich fängt das erste Schaf an, in die Richtung der jungen Schäferin zu traben, eines nach dem anderen folgt, immer mehr werden es, und sie legen an Tempo zu. Sie umkreisen ihre Schäferin, die pfeift laut, damit Hund Benny und Hündin Zitta die wenigen abtrünnigen Tiere ebenfalls zur Herde scheuchen. Es ist ein Tag wie aus dem Bilderbuch. Der wolkenlose Himmel erstrahlt in einem klaren Blau, auf der Albhochfläche weht ein leichter Wind, die Silberdisteln blühen ebenso wie die Herbstzeitlosen, immer wieder passiert die Herde Wacholderbüsche, an denen die Schafe und die paar Ziegen, die ebenfalls zur Herde gehören, knabbern. Schäfersidyll? „An solchen Tagen sieht mein Beruf total romantisch aus“, bestätigt Valerie Stegmayer lachend, ihre rotblonden Locken wehen in der Brise, auf ihrem Gesicht liegt ein sanftes Lächeln. Es sind die Momente, in denen alles passt im Leben der jungen Frau. Gemütlich lehnt sie sich auf ihren Schäferstecken, die Sonne wärmt sie und ihre Tiere, es gibt keine Hektik oder Eile. „Wenn wir nur Schafe hüten müssten, hätten wir das schönste Leben“, sagt Valerie Stegmayer.
Aber so einfach ist es eben nicht immer: Schäfer sein ist viel mehr. Jeden Morgen um acht Uhr macht sich Valerie Stegmayer auf zu einer der Weiden, auf der die Schafe die Nacht verbracht haben, eingezäunt von einem Elektrozaun, der nun abgebaut wird. Die Herde zieht weiter zur nächsten Wiese, wo sie für ein paar Stunden grasen wird. Am Nachmittag geht es dann erneut weiter – an eine Stelle, wo das nächste Nachtlager vorbereitet wird. Dazwischen fährt Valerie Stegmayer zurück zum Hof, denn es gibt auch dort viel zu tun: Ein Schäfer muss dokumentieren, die Behörden wollen wissen, welche Flächen er beweidet, wann er welches Lamm schlachtet, er muss Anträge auf Förderung stellen, Bescheide des Veterinäramtes ausfüllen … Die Bürokratie nimmt seit Jahren zu, verschlingt Arbeitsstunde um Arbeitsstunde. Außerdem müssen sich die Schäfer um die trächtigen oder kranken Tiere im Stall kümmern, die Silage für den Winter vorbereiten. Abends gegen acht Uhr kehrt Valerie Stegmayer erneut auf den Hof zurück, oft wird es noch später. Mindestens zwölf Stunden Arbeit liegen hinter ihr, die sie geistig und auch körperlich stark fordert. Rund 750 Schafe besitzt die Stegmayer GbR, die die 27-jährige Valerie in diesem Jahr von ihren Eltern übernommen hat und die sie gemeinsam mit ihrer Mutter Marliese führt. Im Umkreis von zehn Kilometern rund um den Hof haben sie viele Flächen gepachtet, die es zu beweiden gilt. Den Magerrasen auf der Albhochfläche mit ihren Wacholderbüschen und anderen Sträuchern ist es zu verdanken, dass es den Traditionsberuf des Schäfers überhaupt noch gibt. Diese typische Landschaft kann nämlich nur mit dem Einsatz der tierischen Landschaftspfleger erhalten werden. Ohne die Schafherden würde alles schnell verbuschen und zuwachsen. Die Zuschüsse für die Landschaftspflege sind heute das Haupteinkommen eines Schäfers. „Es macht etwa zwei Drittel aus“, erklärt Valerie Stegmayer, „nur ein Drittel kommt noch aus der Direktvermarktung.“ Die Familie verkauft Lamm- und Schaffleisch auf Bestellung, der Großteil geht an Privatkunden. Weder in der Gastronomie noch im Handel ist das Fleisch aus heimischer Zucht gefragt. Vor allem, weil die meisten Kunden nur bestimmte Teile möchten und dann doch lieber zu den Filetstücken aus Neuseeland greifen, statt ganze Tiere aus Deutschand zu kaufen. Noch unwirtschaftlicher ist der Handel mit der Wolle. „Da legen wir sogar drauf“, bedauert Stegmayer. Zu kratzig ist die heimische Schafwolle, um sie zu Textilien zu verarbeiten, und auch die Chinesen, die einst einiges abgenommen haben, haben sich andere Märkte erschlossen. So muss der Familienbetrieb jedes Jahr rund 1500 Euro für die Schafschur bezahlen. Es sind Ausgaben, denen keine Einnahmen gegenüberstehen.

Rund 5,50 Euro beträgt der Stundenlohn eines Schäfers, weit unter Mindestlohn, und das meiste, was die Familie einnimmt, wird wieder in den Hof investiert. „Wir schaffen immer wieder Geräte und Fahrzeuge an, die uns die Arbeit erleichtern.“ Valerie Stegmayer ist das Nesthäkchen in der Familie, und sie ist diejenige, die den Betrieb weiterführt. Weder ihre ältere Schwester noch der Bruder wollten dies auf sich nehmen. Freie Tage? Die sind rar. Ab und an gibt es mal einen Sonntag, an dem sie ausspannen kann. Auch Urlaub kann sie nicht nehmen, ihre Tiere brauchen sie. Die Arbeit ist alles andere als einfach, man muss anpacken können und darf nicht zimperlich sein. Das haben die Kinder von klein auf miterlebt. „Wir mussten uns um die Hunde kümmern, beim Heuen helfen oder mit dem Traktor aufs Feld“, blickt Valerie zurück. Dennoch hat sie sich dazu entschieden, Schäferin zu werden. Mit 16 Jahren hat sie die Ausbildung zur Tierwirtin begonnen, zunächst, weil ihr nichts anderes einfiel. Heute kann sie sich nichts anderes mehr vorstellen.

Von der Freiheit eines Wanderschäfers

Auch ihr Vater Josef ist vor fast 60 Jahren in die Fußstapfen seiner Vorfahren getreten, sein Vater war Schäfer, ebenso der Großvater und der Urgoßvater. „Als ich dreizehneinhalb war, haben mich Mutter und Vater zum ersten Mal auf die Winterweide geschickt“, blickt der 70-Jährige zurück. Damals gab es noch Sonderregelungen für Schäferskinder, deren Schulzeit auf 7,5 Jahre verkürzt werden konnte. Hart war dieser erste Winter für den Jungen dennoch. Tagsüber allein auf einer Weide, nachts im Wohnwagen, der Lohn bestand aus Kost und Logis. Wenn es gut lief, gab es ein Stück Schwarzwälder Kirschtorte am Nachmittag und Eintopf am Abend, oft war es aber nicht allzu üppig. Er musste essen, was ihm die Bauersfamilien gaben, deren Wiesen er beweidete. Trotzdem denkt Josef Stegmayer wehmütig an diese Zeit zurück. Die Freiheit und Unabhängigkeit, die ihm sein Leben unterwegs mit seiner Herde bot. Als jugendlicher Schäfer konnte er sich auch öfters über Damenbesuch im Schäferwagen freuen, berichtet er schmunzelnd. Er war ein richtiger Wanderschäfer, der von der Alb bis nach Karlsruhe oder in den Schwarzwald zog. Mit Schreibkram hatte er damals nichts zu schaffen, er war frei wie seine Tiere. Und fand dabei außerdem die große Liebe seines Lebens. „Ich war auf der Winterweide“, erzählt er, ein Glitzern in den hellblauen Augen, rund 35 Jahre liegt das zurück. Auf der Weide nebenan ließ sich die junge Schäferin Marliese nieder. „Ich wusste nach einer Minute, dass ich sie heiraten werde.“ Und es kam tatsächlich so: Die beiden wurden ein Paar und gründeten eine Familie. 1996, es war das Geburtsjahr ihrer Tochter Valerie, kauften sie einen Aussiedlerhof in Giengen. Vorbei war damit die Zeit der Winterweide, ihre Schafe sind seitdem von Weihnachten bis Ostern im Stall. Das erleichtert die Arbeit, aber für einen Schäfer vom alten Schlag fehlt dennoch etwas im Jahresablauf.
Die Zeiten für Schäfer waren noch nie einfach, aber Josef Stegmayer bedauert seine Berufswahl nicht: „Ich mache das seit fast 60 Jahren, und es ist mir noch keinen Tag langweilig geworden. Klar: Manche Tage vergehen schnell wie im Flug, andere ziehen sich in die Länge.“ Wenn es regnet, die Nässe die Kleidung aufweicht und die Kälte langsam bis in die Knochen kriecht, das Wasser in den Stiefeln steht, sind es keine schönen Tage. Wenn selbst die Schafe nur noch schlecht gelaunt sind und meckern, sehnt man sich nach dem trockenen Schäferwagen oder einem Stall. Aber die meisten Tage sind gut, sagt Josef Stegmayer. Wenn er nach einem langen oder kurzen Marsch die Weide erreicht, er sich dabei auf seine Schippe lehnt und die Stunden dahinziehen, „dann kann ich einfach meinen Gedanken nachhängen.“ Fast jeden Tag steht der 70-Jährige nach wie vor auf der Weide, trotz künstlicher Hüfte sind ein paar Stunden drin. „Ich mache das, so lange es geht“, sagt er, es ist seine Bestimmung, er will für seine Tiere und seine Tochter da sein. Denn ohne Unterstützung wäre die Arbeit für die junge Schäferin Valerie nicht zu bewältigen.
Was bringt die Zukunft für die Schäferei? So lange die Alb ihr typisches Gesicht mit Magerrasen, Dorn- und Wacholderbüschen beibehält, wird es weiterhin Schafe brauchen, um sie zu pflegen und zu bewahren. Allerdings gibt es einen Besucher, den jeder Schäfer fürchtet: Immer mehr Wolfssichtungen gibt es im Süden Deutschlands, auch auf der Ostalb zogen schon Tiere durch. „Wir werden lernen müssen, mit ihm zu leben“, sagt Valerie Stegmayer, „aber das wird mit Sicherheit nicht einfach werden.“

Nächste Generation steht in den Startlöchern

Und wie steht es um die Zukunft der Schäferei Stegmayer? Inhaberin Valerie muss derzeit etwas kürzertreten, aber das hat einen durchaus schönen Grund: Sie wird Mutter, erwartet ihr erstes Kind. Mehr und mehr wölbt sich unter ihrem weiten Schäferhemd der Babybauch, beim Berghochgehen kommt sie schnell außer Puste. „Ich kann nicht mehr so lange stehen und darf auch nicht zu schwer heben“, erzählt sie, aber ihre Augen strahlen dabei.
Elternzeit oder andere Annehmlichkeiten gibt es für sie als selbstständige Schäferin nicht, aber Familie und Freunde helfen
nach Kräften mit, um sie so gut wie möglich zu entlasten. Auch der Vater des Kin- des wird künftig öfter auf Hof und Weide anzutreffen sein, obwohl er als Elektriker eigentlich einer ganz anderen Profession nachgeht. Und wer weiß, vielleicht wird die Familie Stegmayer auch noch in sechster Generation als Schäfer über die Ostalb ziehen.

Ganz im Sinne des Allgemeinwohls

Es gibt Völker, in denen die Gemeinschaft über dem Einzelnen steht, in denen das Kollektiv mehr wert ist als das Individuum. Diese Völker streben gemeinsam nach Nachhaltigkeit und dem Erhalt ihres Lebensraumes, um auch folgenden Generationen ein angenehmes Leben zu ermöglichen. Sie packen zusammen an, um den Nachwuchs aufzuziehen, sie arbeiten fröhlich von morgens bis abends, manchmal tanzen sie dabei sogar. Jeder kennt seinen Platz, weiß um seine Aufgabe.
„Ich habe als Student einen Artikel über Bienen gelesen“, erzählt Norbert Poeplau, „und ich war sofort fasziniert von diesen wunderbaren Tieren.“ Von den fleißigen Arbeiterbienen, die die erste Hälfte ihres nur sechs Wochen dauernden Lebens damit verbringen, den Bienenstock sauber zu halten, die Brut zu pflegen oder neue Waben für die Eier zu bauen, die ihre Königin legt. Nach drei Wochen dürfen sie dann die Welt erkunden. Gemeinsam mit einer anderen Biene, die sich draußen schon auskennt, geht es auf Erkundungsflug. „Sie zeigt ihr den Weg zur Nahrung und wie es zurückgeht, am nächsten Tag kann sie das dann schon alleine – ist das nicht Wahnsinn?“, fragt Poeplau. Als junger Mann wollte er diese Welt mit eigenen Augen sehen, beobachten, wie ein Bienenvolk lebt und arbeitet, wie alles ineinandergreift. Er besuchte Imkerkurse, stieg in die Hobbyimkerei ein.
Nach dem Studium war er zunächst als Lehrer tätig, unterrichtete in einer Waldorfschule. Den Bienen blieb er allerdings auch zu dieser Zeit treu. Er kümmerte sich um einige Bienenvölker und mit einem Kollegen gründete er eine Bienen-AG an seiner Schule.
Doch einige Jahre später wurde aus dem Hobby Beruf, 2005 wagte Norbert Poeplau den beruflichen Neuanfang und wurde fest angestellter Imkermeister im Verein Mellifera. „Das ist der beste Imkermeisterjob der Welt“, sagt er. Denn anders als in der hauptberuflichen Imkerei geht es bei Mellifera nicht nur um Profit und möglichst hohe Erntemengen, sondern um eine „wesensgemäße Bienenhaltung, um die besondere Art der Beziehung zwischen Biene und Mensch“. In dieser Art der Bienenhaltung wird das gesamte Bienenvolk einschließlich seiner Waben als ein Organismus gesehen und als „der Bien“ respektiert. Die Bienen-Haltung wie auch die Honiggewinnung bei Mellifera unterliegen Demeter-Richtlinien, den strengsten im Bereich der ökologischen Landwirtschaft. „Eben das hat mich damals herausgefordert, hauptberuflich in die Imkerei einzusteigen“, blickt Poeplau zurück, „ein Verein, der so ökologisch aufgestellt ist – das war genau mein Ding.“

2005 war die Zeit des großen Bienensterbens, als viele Warnungen laut wurden, diese Tierart könnte aussterben. „Unser damaliger Vorstand war viel mit politischer Arbeit beschäftigt“, erzählt Norbert Poeplau. Er reiste durch die Republik, musste aufklären und auf die Wichtigkeit der Bestäuber, auch für den Menschen und das gesamte Ökosystem, hinweisen. Norbert Poeplau wurde dringend im Verein gebraucht. Als Imker, aber auch für die vielen Besuchergruppen und Schulungen, die stattfinden, um diese wunderbaren Tiere und ihren unersetzlichen Einsatz für die Natur und Landschaft möglichst vielen Menschen nahezubringen. Es ist eine Mission, die ihn antreibt: „Wir machen uns für die Bienen stark und dienen damit gleichzeitig den Menschen und der Landschaft.“
Der Hauptsitz des Vereins Mellifera befindet sich auf einem großen Gelände außerhalb der kleinen Stadt Rosenfeld, in der Fischermühle. Dieses einst herrschaftliche Anwesen mit Villa, kleineren landwirtschaftlichen Gebäuden, Mühle und Unterkünften wurde in den 1970er-Jahren von zwei Vereinen erworben, die sich der Erforschung und Produktion natürlicher Heilmittel verschrieben haben und die es für ihre Zwecke umgestalteten. Heute findet man auf dem Gelände der Fischermühle Büros, Produktionsstätten, aber auch den kleinen Hofladen mit Direktvertrieb von Bienenprodukten.
Für Besucher lohnt sich ein Ausflug hierher, können sie doch in die Welt der Bienen eintauchen und ihre Produkte erstehen. Gleich wenn man das schmiedeeiserne Tor zu Mellifera passiert, fallen einem die großen Holzmagazine ins Auge, in denen sich die Bienenvölker tummeln, eine große Wabe hängt an einem Eisengestell, es summt und brummt von allen Seiten. Meistens gehen die Imker ohne Schutzkleidung, „Schleier“, wie sie es nennen, an die Arbeit. Schon beim Öffnen merken sie, wie die Stimmung der Bienen ist, ob das Volk eher ruhig oder nervös ist und zum Angriff ansetzt. Gerade im Sommer bei trockenem Wetter sei es meistens gefahrlos, die Kisten zu öffnen, sagt der Imker. Gegen Abend oder im Herbst, wenn die Nahrung für die Tiere knapper wird, passiert es öfters, dass die Bienen ihren Stock verteidigen.
Schmerzhafte Stiche tut Poeplau mit einem Schulterzucken ab, das gehört zum Beruf. „Klar tut es weh, aber das lässt auch schnell nach.“ Stattdessen schwärmt er von dem unglaublichen Können der Bienen, diesen kleinen Wunderwesen. Die Beispiele, was die Tiere alles leisten, sprudeln nur so aus ihm heraus. Etwa, dass bis heute nicht endgültig geklärt ist, wie es den Tieren gelingt, die Waben exakt sechseckig zu bauen, und die Größe ans Geschlecht anzupassen: 5,08 Millimeter misst die Wabe für die weibliche Arbeiterbiene, 6,35 Millimeter für die Drohne. Jede Arbeiterbiene baut Tausende solcher Waben in ihrem Arbeitsleben, und zwar ohne Bauplan. Oder dass die Tiere sogar in der Lage sind, Gesichter zu erkennen, sie wissen also, wenn sich ihnen ihr Imker nähert. Aber auch der Imker baut eine Beziehung zu seinen Tieren auf, wie Poeplau betont. „Ich kenne die Besonderheiten jedes Volkes“, sagt er. Ein guter Imker weiß, welches Volk aggressiver ist und welches eher entspannt, welches viel Honig produziert und welches anfällig ist für Krankheiten. Auf einer Karteikarte notiert der Imkermeister Schulnoten und vermerkt Besonderheiten, so wie einst als Pädagoge in der Schule.
143 Völker hat der Verein aktuell, jedes Volk hat etwa 50 000 Tiere, sie sind auf dem Hof, den Wiesen und Wäldern der näheren Umgebung untergebracht. Die Tiere durch die halbe Republik zu fahren, um möglichst viel Honig zu bekommen, ist im Konzept von Mellifera nicht vorgesehen. Wobei dies in Süddeutschland auch nicht nötig ist. „Wir haben noch eine abwechslungsreiche Landschaft“, betont Poeplau – Waldgebiete, Weiden, Wiesen oder landwirtschaftliche Nutzflächen sind zu finden, anders als die Monokulturen in Mittel- und Norddeutschland. Darum genügt es, wenn man den Standort der Bienenstöcke in der näheren Umgebung je nach Blütezeit verändert.
Wenn der Imker Glück hat, gibt es sogar den besonders intensiv schmeckenden Waldhonig. Das ist allerdings nur alle paar Jahre der Fall und kann kaum beeinflusst werden, hier entscheidet die Natur. Dieser wollen die Imker von Mellifera auch in allen anderen Bereichen bestmöglich ihren Lauf lassen. Die Königin darf ihren Jungfernflug antreten, auf dem sie von mehreren Drohnen begattet wird. Anschließend kehrt sie in den Stock zurück, wo sie bis an ihr Lebensende (dies sind in etwa fünf Jahre) verweilt, um Eier zu legen. Diese natürliche Besamung ist gut für die Vielfalt, sind Demeter-Imker überzeugt. Künstliche Befruchtungen, die es für Bienen ebenfalls gibt, führen sie nicht durch. Eine andere Besonderheit ist die Nahrung: Demeter schreibt vor, dass man den Tieren rund zehn Prozent ihres Honigs lässt und nicht alles komplett entnimmt und durch Zuckerwasser ersetzt. Dies stärkt die Tiere.


Norbert Poeplau hat fast 18 Jahre Melliferas Bienenhaltung geprägt. Da der 65-Jährige nun am Ende seiner Laufbahn als Berufsimker steht, lernt er seinen Nachfolger an. Landwirtschaftsmeister Benedikt Pestalozzi ist aus der Schweiz in den Zollernalbkreis gezogen und ebenfalls der Faszination Biene erlegen. Zuvor war er Mitglied einer solidarischen Landwirtschaft: Auch in dieser versuchen die Menschen, schonend mit der Natur zu arbeiten, anstatt nur möglichst viel aus ihr herauszuholen.
Für einen Imker wie Pestalozzi bedeutet dies, dass die Tiere und die Umwelt Taktgeber für seinen Arbeitsalltag sind: Er richtet sich nach den Jahreszeiten, der Witterung und den Bienen. Der Mensch dient nur als Unterstützung, das meiste können die Tiere selbst. Aber eben nicht alles: Besonders im Frühjahr, wenn die Insekten aus der Winterruhe erwachen, müssen die Imker wachsam sein. „Durchlenzen“ nennen sie das und meinen damit, die Völker durch den März zu bringen. „Das Frühjahr ist das Nadelöhr für die Imkerei“, erklärt Pestalozzi. Droht doch die Gefahr von Kälteeinbrüchen, die den Bienen schaden, wenn sie zu früh ausschwärmen. „Obwohl es sogar ‚Heizerbienen‘ gibt“, berichtet Pestalozzi. Diese können ihre Flügel aushängen und dann wie im Leerlauf flattern, um Wärme zu erzeugen, erzählt der 40-jährige Neu- Imker voller Begeisterung und schlägt mit den Armen auf und ab, um es zu demonstrieren. Täglich schaut er nach den Völkern, und wenn sie Hilfe brauchen, gibt er diese. „Es ist eine Arbeit, bei der man nicht ständig auf die Uhr schauen kann und die oft auch nicht im Voraus planbar ist“, sagt er. Ein Imker hat oft keinen Achtstunden- Tag, der immer zur gleichen Zeit beginnt und endet. Und um erfolgreich zu sein, braucht es ein Gespür für die Bedürfnisse der Tiere und Achtung vor ihnen.
Benedikt Pestalozzi steht am Anfang seiner Laufbahn als Imker. Er wird noch viel von und mit den Tieren lernen. Und Norbert Poeplau? Er wird, das steht für ihn fest, den Bienen auch nach dem Berufsleben als Imker treu bleiben. „Ich werde als Hobby Bienen halten, so lange ich kann“, sagt er. Oft überlege er sich, wie eine menschliche Gesellschaft wäre, die einem Bienenvolk ähnelt. „Bienen agieren als ganzes Volk und ihr Tun ist komplett auf die nachfolgenden Generationen ausgerichtet“, sagt er. Sie wollen als Kollektiv überdauern. Selbst wenn das mit schmerzlichen Folgen für Einzelne verbunden ist. Etwa für die männlichen Drohnen, wie Poeplau mit verschmitztem Grinsen erzählt: Diese werden im Herbst aus dem Stock geworfen, weil sie nichts mehr zum Überleben des Volkes beitragen können. Die wenige Nahrung, die es dort hat, ist für die Königin bestimmt und diejenigen, die dort arbeiten, um die kommende Generation aufzuziehen. Hart für den Einzelnen, aber eben ganz im Sinne des Allgemeinwohls.

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